Beijing / Zürich / Berlin


Zwischen Lichtkammern und Dunkelräumen

Ein Projekt im Rahmen des Festivals Science et Cité im Mai 2005

Zwischen Lichtkammern und Dunkelräumen
Teil I Philosophie und Wissenschaft Teil II Literatur und Kunst
Ein Projekt im Rahmen des Festivals Science et Cité
Mai 2005

Vortrag, Lesung und Gespräch mit Dr. Christoph Dejung, Philosoph; Prof. Dr. Ernst Fischer, Wissenschaftshistoriker; Heinz Norbert Jocks, Publizist, Hrsg. des „Kunstforum“ und Paul Nizon, Autor 

The Diagonal Mirror – Fotografische Arbeiten von Martin Zeller sind während des Festivals im Literaturhaus Basel und in der Fondation Herzog ausgestellt

Wo beginnt die Wirklichkeit?

Kunst und Wissenschaft? Gegensatz oder Wahlverwandtschaft? Reicht die Bereitschaft zu fachübergreifenden Arbeiten oder bleibt eine Ausrichtung zu disziplinären Grenzgängen? Welche Voraussetzungen braucht es für einen gelungenen Dialog?

Menschen, die in Kunst oder Wissenschaft arbeiten, haben vieles gemeinsam. Ihr Schaffen zeichnet sich aus durch freie Forschung, Innovation und Grenzüberschreitung. Sie arbeiten in geschlossenen (Frei-) Räumen Atelier/Labor und doch ist die Verwirklichung ihrer Arbeit ohne eine Öffentlichkeit und deren Feedback nicht möglich.

Funktioniert Wissenschaftskritik anders als Kunstkritik? Was passiert, wenn Kunst und Wissenschaft miteinander kommunizieren? Welche Basis und welche Sprache kann dann benutzt werden?

Interessant ist doch, dass wissenschaftliches Bemühen weniger als Beitrag zur Kultur gewertet wird, wie etwa ein Bild zu malen oder ein Buch zu schreiben. In unserer Gesellschaft werden diese Bemühungen so ungleich gewichtet. Ein kultivierter Mensch sollte wissen, welcher Epoche Goethe zuzuordnen ist, aber was genau ein Gen ist oder wie unsere Sinnessysteme funktionieren, das scheint weniger bedeutsam. Fast gilt es sogar als schick, davon nichts zu verstehen. Dabei haben diese Entdeckungen nicht nur unsere Lebenswelt, sondern auch unseren Blick auf die Welt nachhaltig verändert.

Wie eignet sich der Mensch Welt an? Wer sich selbst begreifen will, wer besser verstehen will, wie Körper und Geist beim Menschen zusammenhängen, sollte wissen, welches Bild sich die zeitgenössischen Naturwissenschaften von uns machen.

Teil I Philosophie und Wissenschaft
„An den Grenzen der Lichtmetaphorik – zur Aktualität von Helmuth Plessner“
Vortrag von Dr. Christoph Dejung

Helmuth Plessner, geb. 4.9.1892, gest. 12.6. 1985 (20. Todestag), neben M. Scheler Begründer der philosophischen Anthropologie, Werke zur Soziologie und Politik, ausserordentlicher Professor in Köln, floh 1933 vor den Nazis nach den Niederlanden, wo er im Untergrund überlebte. Nach dem Krieg kehrte Plessner nach Deutschland zurück und fand Anerkennung als Soziologe. Starb 1985 in Göttingen.

Dr. Christoph Dejung, studierte Philosophie und Geschichte in Zürich. Achtundzwanzigjährig nahm er an den letzten Seminaren teil, die Plessner in seinem Haus in Erlenbach in der Schweiz hielt. Christoph Dejung lebt in Zürich und Trans (GR).

Die Leistung der Sinne erzeugt das Rätsel der Philosophie

Die Sinne scheinen dem Menschen ein Bewusstseinstheater vorzuspielen, bei dem er sozusagen in sich selbst sitzt wie ein kleines Menschlein im Hirn drin, mit seinen Augen rausblickt, mit den Fingern tastet, mit den Ohren hört und mit dem Gaumen schmeckt. Es entsteht der Anschein, er würde dank der Sinne eine Art von absoluten Erkenntniserlebnissen geniessen können und die Sinne seien sozusagen nur die zum Erkennen passenden Kanäle oder Instrumente.

All das sollte am Licht geschehen

Für Historiker und Philosophen geht es darum, die historisch zufällige Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft zu durchbrechen, ohne sich zu sorgen, dass andere das als unwissenschaftlich eingeschätzte Schreiben verachten. Philosophieren hat keinen bestimmten Standort, weder im Fass des Diogenes noch im Betrieb der Wissenschaft. Es kommt darauf an, wieder ohne die Wegleitung der redseligen Wissenschaftler Kunst entstehen zu lassen und Religion, auch Wissenschaft neben der anerkannten, auch Ethik, Ästhetik, gar Metaphysik und Philosophie der Geschichte. All das sollte am Licht geschehen, von denen kontrolliert, die verstehen.

„Die Revolution der Romantik“ – Über die Nachtseite der Wissenschaft und die Rolle der Kreativität in der Bildung des Menschen
Vortrag von Prof. Dr. Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer, geb. 1947, ist diplomierter Physiker, promovierter Biologe und habilitierter Wissenschaftshistoriker. Er lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz und hat zuerst in Basel erläutert, was naturwissenschaftliche Bildung sein kann. Er zeigt, wie die naturwissenschaftlichen Bemühungen, „Die Bildung des Menschen“ zu erfassen, am besten verstanden werden können, wenn dem Denken eine romantische Dimension zugestanden wird. Damit ist die Vorstellung gemeint, dass die Natur etwas ist, dem Menschen eine Form geben. Die Natur der Romantik ist das Gegenstück, das Menschen dank ihrer Kreativität neu schaffen und formen können – etwa in einem Roman oder in einer wissenschaftlichen Theorie. Sie wird „etwas, dem ich meinen Willen aufzwinge“, wie es der Ideenhistoriker Isaiah Berlin ausgedrückt hat. Um diese romantische Bildung des Menschen geht es im Vortrag und im Leben.

Teil II Literatur und Kunst
Titel
Vortrag von Heinz Norbert Jocks

Die Literatur bietet ideale Räume, sichtbare und unsichtbare, um Labyrinthe einzurichten und Versteckspiele zu erfinden. Zu gern wird der Autor ein literarisches Bild von sich entwerfen, dass zum einen identisch mit ihm zu sein scheint und hinter dem sich seine Biografie ziemlich nah an die Oberfläche wagt. Gerade um dieser Nähe auszuweichen, muss er zum anderen pausenlos ein neues Bild von sich entwerfen, das er dann schreibend einzuholen versucht. Bevor das Versteckspiel von vorn beginnen kann, ist jetzt Gelegenheit, die durcheinandergekommene Welt des Sichtbaren und Unsichtbaren wieder so zu ordnen, wie sie vorgesehen war.

„Das Leben also ist Fiktion…und eine Biographie ist etwas, das man im Nachhinein erfindet.“ Louis-Ferdinand Céline
Paul Nizon liest aus seinem neuen Buch „Das Drehbuch der Liebe“ — Journal 1973–1979

Paul Nizon, geb. 1929 in Bern, lebt in Paris. Zuletzt erschienen: „Hund. Beichte am Mittag“, 1998; „Taubenfrass“, 1999; „Abschied von Europa“, 2003

Neben den bekannten Büchern von Paul Nizon gibt es eine Fülle von Aufzeichnungen, die sein persönliches Leben und sein Schreiben reflektieren. Ist das alles erfunden oder geschah es ihm wirklich? Weder noch! Paul Nizon erfindet keine Geschichten. Als „Held“ seiner Bücher findet er sich in ihnen.