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R U M Ä N I E N — S C H W E I Z —
R U M Ä N I E N — S C H W E I Z

Neue Poesie aus Rumänien und der Schweiz – Ein Renshi

2002

Ein Austausch-Projekt, Mai-Dezember 2002
Literaturhaus Basel/ Muzeul Literaturtii Bukarest

Im Mai und Dezember 2002 wird das Literaturhaus Basel in Zusammenarbeit mit dem Muzeul Literaturtii Bukarest ein rumänisch-schweizerisches Dichtertreffen veranstalten, wovon der erste Teil im Mai in Basel stattfinden soll und der zweite Teil im Dezember in Bukarest. Rumänische und Schweizerische Lyrikerinnen und Lyriker werden bei einem gemeinsamen Arbeitsaufenthalt miteinander an Formen der Poesie arbeiten, nur unterstützt durch zwei versierte Lyrikübersetzer. Als Abschluss ist eine öffentliche Präsentation der gemeinsamen Arbeit vorgesehen in einer „Nacht der Poesie“.

Die rumänisch-schweizerische Zusammenarbeit wollen wir in Form eines Renshis organisieren, das, soweit uns bekannt ist, in der Schweiz nur durch Eduard Klopfenstein, Professor der Japanologie an der Universität Zürich vermittelt wird. Er hat uns auch bei diesem Projekt seine Unterstützung zugesagt.

Aber was ist überhaupt ein Renshi?

„Idee und Vorbild stammen aus dem japanischen Mittelalter, wo sich im 14. Jahrhundert das sogenannte Renga, die nach strengen formalen und motivischen Regeln gestaltete Gedichtkette, herausgebildet hat. Diese Dichtungsform – eine kreative Gruppenaktivität zwischen zwei oder mehr Dichtern, die später auch unter der Bezeichnung Haikai oder Renku bekannt wurde – konnte sich über Jahrhunderte halten, bis sie mit dem Einbruch der westlichen Kultur in Japan, d.h. seit der Jahrhundertwende, an den Rand gedrängt und als obsolet betrachtet wurde.“

Die Grundidee der Kettendichtung wurde jedoch von etwa 1970 an im Rahmen der modernen Lyrik – ohne das klassische Formen- und Regelwesen – zu neuem Leben erweckt und seither weltweit in zahlreichen Veranstaltungen erprobt. Das Renshi bietet die seltene Möglichkeit einer direkten, intensiven literarischen Zusammenarbeit über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg.

Die Dichterinnen und Dichter können bei jeder Rensi-Runde die Regeln nach Belieben selber festlegen – einmal ganz locker, einmal nach strikten formalen Vorgaben. Wie auch immer, das Renshi lässt erfahrungsgemäss die Individualität und Originalität jeder Persönlichkeit deutlich hervortreten. Da nur ein direkter Anschluss an das vorhergehende Gedicht möglich ist, entsteht ein ständiges assoziatives Fortschreiten, der eigene Stil aber und die eigene Vorstellungswelt des Einzelnen bleiben gewahrt. Hier treffen die sonst eher einsam arbeitenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf die äusserst positive Erfahrung von Teamarbeit.

Da in diesem Jahr durch den Europäischen Rat das Jahr der Sprache ausgerufen wurde, ist es uns Anlass genug, zwei unterschiedliche Sprachräume zusammenzuführen und mit diesem Potential eine Neubelebung der Tradition des Renshi zu versuchen.

Die rumänische Poesie hatte es schwer, dem Vorurteil, sie befasse sich nur mit Hirtenpoesie, etwas entgegenzusetzen. Zum Teil sind nicht vorhandene oder schlechte Übersetzungen Schuld, zum Teil aber auch die Schlagzeilen, die uns mit den unwürdigen Lebensbedingungen konfrontierten und die Vorstellung erschwerten, dass auf solchem Boden Kultur gedeihen könnte. Seit 1989 ist ein, wenn auch langsamer Aufbruch, in Richtung Europa spürbar. Der radikale Umbruch, der die äusseren Grenzen sprengte, brachte die Poesie bald in eine erneute Krise. Zwei Generationen mit ihrem unterschiedlichen Zugang zur Poesie und einem gänzlich anderen Weltverständnis stehen sich gegenüber. Die Jüngeren präferieren einen unvermeidlichen Weltuntergang und streben einer negativen Mystik zu. Die Älteren proben die neue rumänische Sachlichkeit mit ironisch-parodistischen Enthüllungen. Da uns beide Denkrichtungen für ein neues Bild Rumäniens relevant erscheinen, werden aus beiden Generationen Gäste nach Basel eingeladen.